Schmerzempfindung bei der Gürtelrose (Hyperalgesie)
Die Schmerzen bei einer Gürtelrose können einen Patienten buchstäblich in den Wahnsinn treiben. Sie sind die Folge der Nervenschädigungen, die von den Herpesviren ausgelöst werden. Zu dem normalen Wundschmerz der Hautbläschen gesellt sich mit der Zeit ein neuropathischer Schmerz durch die Entzündungsreaktionen. Ist dieses irreversible Stadium erreicht, ist die gesteigerte Schmerzempfindung zu einer Hyperalgesie bei der Gürtelrose geworden und man spricht von einer postzosterischen Neuralgie (PZN).
Akute Schmerzen sind bei Gürtelrose häufig
Bei Patienten jenseits des 50. Lebensjahres sind akute Schmerzen bei der Gürtelrose eher die Regel als die Ausnahme – über 95 Prozent leiden daran. Bei zwei Dritteln tritt ein kontinuierlicher Schmerz noch einen Monat nach Abheilen der Hauterscheinungen auf, der von der Hälfte der Patienten als schwerwiegend bezeichnet wird.
Zwei Arten von Schmerzen bei der Gürtelrose
Mediziner unterscheiden zwei grundlegend verschiedene Arten des Schmerzgeschehens bei einer Gürtelrose: nozizeptive und neuropathische Schmerzen.
Nozizeptiver Schmerz
Nozizeptiver Schmerz ist der normale Wundschmerz, wie wir ihn auch von Verbrennungen, Kälte oder Vergiftungen kennen. Sie entstehen bei der Gürtelrose durch die akute lokale Entzündungsreaktion in den betroffenen Dermatomen.
Dabei handelt es sich um die Gebiete, die von jenen Nerven versorgt werden, aus dessen Spinalganglion an der Wirbelsäule heraus sich die erneute Erkrankung manifestiert. Schmerzrezeptoren (Nozirezeptoren), freie Nervenenden im Gewebe, registrieren das Geschehen und leiten Nervenimpulse an das Zentrale Nervensystem weiter, das daraus die Wahrnehmung „Schmerzen“ erzeugt. Typischerweise ist es das nicht-neuronale Gewebe, das durch eine Schädigung bedroht oder tatsächlich bereits in Mitleidenschaft gezogen ist, hier vor allem die Haut.
Neuropathischer Schmerz
Neuropathischer Schmerz hingegen betrifft unmittelbar die Nerven selber und beginnt mit einer akuten Zosterneuralgie. Breiten sich die Viren über die Axone von Nervenzellen aus, führt das zu einer Degeneration der sensorischen Neurone.
Die Viren programmieren die Zellen zu kleinen Virusfabriken um, die ihren gesamten Stoffwechsel auf die Neubildung von Viruspartikeln ausrichten und letztlich zugrunde gehen. Die Ausschüttung von entzündungsvermittelnden Botenstoffen lockt Immunzellen herbei, die die Zellreste abräumen und dabei eine Entzündung hervorrufen.
Halten die Schmerzen über drei Monate nach dem Abklingen der akuten Hautsymptome an, bezeichnet man das als postzosterische Neuralgie. Dieser neuropathische Schmerz kommt durch die Nervenschäden in der Peripherie und Veränderungen im Rückenmark zustande. Es handelt sich dabei um eine chronische Schmerzerkrankung, bei der es zu einer ausgeprägten Schmerzsensibilisierung kommt. Diese gesteigerte Schmerzempfindung oder Hyperalgesie ist bei Gürtelrose häufig.
Bei der postzosterischen Neuralgie unterscheidet man verschiedene Formen des Schmerzes:
- brennender, bohrender Dauerschmerz
- kurze, einschießende Schmerzen
- heftige Schmerzen bei Berührung (dynamische Berührungsallodynie)
- Missempfindungen (Parästhesien)
- übermäßige Berührungsempfindlichkeit (Hyperästhesie).
Wie behandelt man die gesteigerte Schmerzempfindung (Hyperalgesie) bei der Gürtelrose?
Ärzte richten sich gemäß der bestehenden Leitlinie zur „Diagnostik und Therapie des Zoster und der Postzosterneuralgie“ meistens am dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgegebenen Schema.
Während man beim „einfachen“ nozizeptiven Schmerz mit den üblichen Analgetika wie Paracetamol, Novalgin oder Diclofenac auskommt, sind zur Behandlung der neuropatischen gesteigerten Schmerzempfindung oder Hyperalgesie bei der Gürtelrose Opioide angebracht. In den Anfangsstadien verwendet man hierzu Tilidin oder Tramadol, bei heftigen Schmerzen starke Opioide wie Oxycodon oder Morphiumderivate. Zusätzlich gibt man Antikonvulsiva wie Gabapentin und ein Antidepressivum wie Amitryptilin.
Vorsicht vor der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses!
Etliche Neurologen empfehlen inzwischen, möglichst frühzeitig nicht nur mit der antiviralen, sondern auch mit der analgetischen Therapie zu beginnen. Diese soll sofort wie bei der Neuropathie behandelt werden, also sofort mit der Gabe von Analgetikum, Antidepressivum, Antikonvulsivum plus Opioid.
Darüber hinaus soll der nozizeptive Schmerz auf der Haut wie üblich lokal mit schmerzlindernden Salben behandelt werden, etwa mit Lidocain oder Schmerzpflastern. So will man verhindern, dass der Körper sich an die Schmerzen gewöhnt und ein „Schmerzgedächtnis“ entsteht. Chronische, starke Schmerzen verursachen Veränderungen im Zentralen Nervensystem und macht die Nozirezeptoren extrem empfindlich, sodass sie mit Hyperalgesie und Schmerzen bei harmlosen Reizen (Allodynie) reagieren.
Quellen und weiterführende Literatur
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Zoster und der Postzosterneuralgie“. AWMF-Register-Nr. 013-023, 2019.
- Ärzte-Zeitung online, 13.09.2017: Bei Herpes zoster Schmerztherapie von Anfang an!
https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/article/942931/neuropathischer-schmerz-herpes-zoster-schmerztherapie-anfang-an.html - Jürgen Sandkühler: Schmerzgedächtnis: Entstehung, Vermeidung und Löschung. Dt Ärztebl 2001; 98: A 2725–2730 [Heft 41].